Durchfahrt (2)

Eine der vielen interessanten Hausdurchgänge im Stadtteil Praga von Warschau. In Photoshop mit HDR bearbeitet.

Die verkommensten Hinterhöfe in ganz Europa gibt es in Praga

„Jarmark Europa“ - ein genialischer Name. Symbol für den Urknall 1989, für den kapitalistischen Aufbruch Osteuropas und des ganzen untergegangenen Sowjetimperiums bis Wladiwostok. Denkmal für Träume und Alpträume, Glanz und Elend. Spontaner, unregulierter Handel und Wandel. In EU-Zeiten ein Auslaufmodell, wie das übrige alte Praga.

Die Ausläufer des „Jarmark Europa“ reichen in nördlicher Richtung bis zur Ulica Targowa, der Marktstraße. Auch hier sitzen Kleinkrämer am Straßenrand, verticken Blumen, Schnürsenkel, Einlegesohlen, Modeschmuck oder die letzte Ernte aus dem Vorgarten. Manche Häuserfront in den Seitenstraßen ist noch von Einschusslöchern zersiebt, der letzte Putz weicht blanken, rußbraunen Backsteinen, von Balkonen sind nur rostige Stahlträger übrig und die Treppenaufgänge und Hinterhöfe sind vermutlich die finstersten und verkommensten in ganz Europa. Doch sie sind eine echte Sensation: Mit Pech trifft man auf liegen gebliebene Alkoholiker. Mit Glück hört man Kinderlachen, findet irgendwo noch eine kyrillische Inschrift aus der Zarenzeit oder ein verstaubtes Jugenstilrelief. Fast schon garantiert ist ein Opferstock für die heilige Mutter Gottes. Wenn das Licht für pflanzliches Leben nicht ausreichend ist, liegen bunte Plastikblumen zu ihren Füßen. Meist ist ihr Schaukasten mit Christbaumkerzen umrankt, die ein bisschen Helligkeit spenden. Das Geld mag auf der anderen Seite der Weichsel wohnen, die Seele Warschaus aber überdauert in den Hinterhöfen von Praga.

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