50 Jahre und ein Ende 5

Beschreibung

1988 Hamburg


50 Jahre und ein Ende 5


Ursulas Freundlichkeit hält mich im Dienst. Andere werden strafversetzt. Nicht wegen Drogenmissbrauch, sondern wegen Unpünktlichkeit. Club 68 duldet auch keine „Isbler“ mit morschen Knochen. Der Amtsarzt in Wandsbek meint, ich hätte Scheuermann.

„Wie geht’s ihnen?“
„Naja, ganz gut, aber ...!“
„Ich hab nun wirklich nicht viel Zeit zu plaudern, Herr ... Herr.“

„Kaffee?“, fragt die Sprechstundenhilfe. Trotz Rückenschmerzens darf ich meinen Job bei Didi behalten. Wäre ja auch noch schöner gewesen. Ich überzeuge dadurch, dass ich ein pädagogisches Ziel verfolge. Didi steckt Holzklötzchen aufeinander.

„Papa a Nann!“ Ja, Papa ist ein Mann und was für einer. Klein, rund, GTI Fahrer.

„Was fahren die bloß alle so gehemmt!“ Mit dem GTI, dem Didi und dem Zivi zu Professor Albino in die Uniklinik Eppendorf.
„Blut abgenommen, fürs Labor!“
„Wie macht die Handbremse?“
„Krrr krrr!“
„Man macht sich ja doch Sorgen um den Jungen, irgendwie!“ Am Sonntag kommt die Oma zu Besuch aus Wuppertal Elberfeld.
„Hamburg Harburg, Oma aussteigen!“

Egbert sitzt im Lehrer/Praktikantinnen/Zivizimmer und liest die Nationalzeitung. Den Nazi haben sie nicht rausgeschmissen, weil er sich keines offiziellen Vergehens schuldig gemacht hat. Nicht einmal Ursula hat er am Hinterhof gedient. Er ist nur nicht beim Bund, weil ihm der Laden zu schlaff ist.

„Schwing die Keulen!“ Sein Knabe sitzt im Rollstuhl.
„Die braucht doch keiner!“, sagt er. Offenbar alle auf dem rechten Auge blind oder sprachlos. Nein Egbert ist keine Erfindung des Autors, Egbert gibt es wirklich. Heinz, der Vater von Didi findet Egbert auch nicht schlimm. Er schimpft auf die anderen Sozialhilfeempfänger.

Nach dem Dienst müsste ich eigentlich immer sofort Tagebuch schreiben. Das geht aber nicht. Es geht einfach nicht von der Hand. Soviel unfertige Gedanken im Kopf. Ich entspanne mich in einem Antiquariat im Steindamm in der Hamburger Innenstadt. Der Besitzer heißt Kalusch. Er ist Pole und hat die erstaunlichsten Beziehungen. Seine Rauchwaren sind von guter Qualität. Für alte Herrenmagazine bezahlt man einen fairen Preis für einen Zivi. Er vermittelt mir kurzfristig einen Fotojob für ein Stadtteilmagazin am Hamburger Berg. Schwarz und ohne Garantien. Kindertagesstätten – Eröffnungen knipsen und so. Aber immerhin.

Er selbst war mal Chefredakteur des reichlich und teils farbig illustrierten Vollkontaktmagazins „Versohlte Ärsche.“ Alte Hefte erfreuen sich großer Beliebtheit beim älteren intellektuellen männlichen Publikum. Es wird gern über die Lesebrille geschaut, vorsichtig geblättert und mit Kalusch gefachsimpelt. Ich treffe dort auch meinen alten Schuldirektor Herrn Klaus. Breit, wie hoch, Berliner, aber mit brillanter Aussprache und ausgeprägtem Geschichtswissen.

„Schön, Sie wieder mal zu treffen, Matthias!“ Auch er blättert behutsam mit seinen Knubbelhänden.
„Ja, dass war noch Papierqualität damals!“

Ursulas Gesäß ist fast so breit wie ihre Haustür. Nicht nur auf mich übt es eine große Faszination aus. Viele reisen extra an, um Ursula, die gütige Direktorin im Nymphenweg in voller Pracht betrachten zu dürfen. Selbst der Schulrat macht deswegen Extrabesuche.

Wäre sie nicht meine Direktorin gewesen, hätte ich einen Extraaufsatz über ihren dicken Po geschrieben und ihn ihr in stiller Stunde vorgetragen.

Ich mache es trotzdem.

...

20. Dezember 2010





fortsetzung folgt


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