schrammurban 2009 - 1

Beschreibung

Fast unbearbeitete Handydigitalzoomportraits ausser S-Bahn 2008/2009

1. Teil einer etwas anderen Geschichte

Die Hilde und ich

Viele Mädchen habe ich noch nicht kennen gelernt. Die meisten sind so flink und erinnern mich an Stelzen auf Rollschuhen. Manchmal fliegende Schals oder auch nur Halstücher. Ich hab mich auch zu wenig umgeschaut bislang. Ich glaub das jedenfalls. Meine Freunde aus der Uni sagen das. Da war nur Nora mit der Orchidee auf der einen Pobacke. Ein paar wilde Locken im Nacken und grüne Haare wie Kunstrasen. Metall gut verteilt über das ganze Mädchen, von Bauch bis Kopf. Ein bisschen wild für mich vielleicht. Bei ihr hatte ich nie Lippenstift am gestärkten Mutterkragen. Höchstens Bissspuren in der Wade und an der Kehle.

Hilde hingegen sieht ganz glatt aus. Bis auf die Falten natürlich. Aber die Haare, aus denen sie immer einen Knoten, oder einen Zopf macht, sind glatt und weiß und glänzen wie Seide. Sie trägt lange bunte Gewänder.

Ich lerne sie in der Unibücherei kennen. Sie hat ein Kunstbuch in der Hand. Unaufgefordert erklärt sie mir ein ruhiges Gartenbild von Max Liebermann. So, wie es ältere Menschen manchmal tun. Und ich nehme es einfach hin, ohne nach einer Erklärung für dieses Verhalten zu suchen. Ob ich das Schweigen in dem Bild erkennen kann? Da zu mir Bilder nicht sprechen, zucke ich mit den Achseln und nicke. Dann lächelt sie niedlich, aber überlegen. Am Ausgang treffe ich sie dann noch mal. Sie schenkt mir das Buch.

Wir gehen Tee trinken, wie sie es nennt. Ich trinke Schokolade. Mit Schokolade am Mund bin ich ein Sonderling unter den Studenten. Jedenfalls für meine anderen Freunde. Für Hilde nicht. Nebenbei fragt sie mich nach meinem Alter.

Ich werde bald einundzwanzig. Meine Unerfahrenheit im Umgang mit Frauen, versuche ich durch tiefes Grübchengrinsen auszugleichen. Ich übe das im Spiegel und bemühe mich nach Fünftagebart auszusehen. Hildes Mann ist seit zehn Jahren tot. Die Kinder sind längst aus dem Haus. Erst waren sie aus dem Häuschen, dann waren sie weg. Hilde lacht schnippisch mit kleinen Augenschlitzen und sagt, dass sie gerne albern ist. Sie hat ganz kleine dünne Hände, ein bisschen runzlig und ein paar Flecken.

Ich bin mit der ganzen Clique unterwegs. Ich fühle mich richtig wohl. Gespräche, Tee und Schokolade. Hilde ist jetzt immer mit und versucht mit Sanne gemeinsam das Rauchen aufzugeben. Meine Freunde mögen sie. Meine Eltern sind so weit weg. Die brauchen überhaupt nichts wissen.

Der Flori meint, immer den Spaßvogel machen zu müssen. Ob ich auch zu denen gehören würde, die „Harald und Maude“ 27 Mal gesehen haben. Ich rede mit Flori aber gar nicht.

Einmal nimmt mich Hilde ganz zart an die Hand. Sie hat so gläserne rosa Wangen. Ihre dünne Haut ist gespannt, wenn sie lacht. Und Falten um die Augen und Nase und Mund. Ganz viele kleine Falten. Mit noch mehr Übergewicht wären es weniger. Ich grinse verlegen.

...


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