Ekstase auf dem Lande oder so

Beschreibung

Aus Jahresalbum 93 gescannt - volle Kombi aus Zeichnung und Diaprojektion xp2 ziemlich cross - love it wie green light crossing he he.

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Hinzu eine themenferne nagelneue Geschichte über Äpfelchen und so - hat alles nichts direkt mit Ostern zutun du.


Sonntag doch auf dem Lande

Früher waren die Marktplätze auch die Richtplätze oder umgekehrt. Es gab dort den Höhepunkt der ruhigen dörflichen Idylle. Man schliff die Klinge der Guillotine, man bereitete alles sanft beherzt, wenn auch nicht fröhlich pfeifend vor.

Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm. Ein Apfelhändlerehepaar musste dran glauben, weil es verfaulte Äpfel verkauft hatte. Zunächst wollte man sie mit eben diesen faulen Äpfeln bewerfen und vertreiben, doch dann wurde das Urteil zum unspektakulären Vergnügen der Bevölkerung revidiert. Die Köpfe sollten in Apfelkörbe fallen, leuchtend rot und saftig. Die Frau noch mit einem frischen Arbeitskopftuch versehen. So geschah es dann auch.

Man spricht ja von „Rübe ab“, was in diesem Fall fehl am Platze ist. Die Rübenbauern waren fleißig und arm und betrogen nicht. Die fahrenden Händler waren es, die Verbrechen begangen. Die Fremden eben. Die Fremde sollte immer bleiben, was sie ist. Fremd.

Wenn ich mal auf dem Lande bin, mit Käthe, meiner Frischluftfreundin, dann hat sich seit damals alles geändert. Man köpft keine fahrenden ApfelhändlerInnen mehr. Warum nicht? Es gibt sie nicht mehr. Früher wuchsen die Äpfel auf den Bäumen, heute kauft sie Käthe in einem riesigen Superladen um die Ecke, ganz nah bei der Pension, in die wir einkehren.

Manches ist aber dennoch äußerst urig. Man riecht die Landluft schon im Zimmer. Das hiesige Digitalfernsehen und die DSL-Leitungen duften anders auf dem Lande, erdiger eben und sie funktionieren auch selten richtig. Es ist ein Gefühl wie in Zeiten der Morsezeichen und der Vorkinderfunkzeit. Die Frauen stehen hier noch mit Lockenwicklern im Garten und hängen an ihrer supermodernen Wäschespinne die Nasskledage auf. Sie rauchen dabei. In der Stadt raucht niemand mehr, höchstens extravagante Künstler auf Vernissagen und Lesungen.

Käthe sagt mir, dass diese Frauen eben noch die echten Frauen sind. Sie tun das, was sie denken aus einem großen Herz heraus, egal ob es für die Männer gut ist. Das sei eben echte und wirkliche Emanzipation. Käthe kommt vom Lande und muss das ja wissen. Die hingerichtete Apfelhändlerin gilt Innerorts (wo 50 erlaubt ist) als eine Art Jeanne d’Arc. Ihr Gatte nur als Strohkopf, genau genommen als Apfeldötz. Da können sich die Möchtegernemanzen in ihren Lesbencafés die Köpfe heiß reden, meint Käthe, sie würden nie zu echten Frauen werden.

Ich habe einfach nicht gelernt, Käthes profunde Weltsicht zu bestreiten. Grad als Frau und als Kennerin des nichturbanen Lebens ist sie in diesen Dingen weit vorn.

Sonntag doch auf dem Lande. Käthe hängt sich über den Pensionsbalkon und versucht zu rauchen. Doch selbst die eigentlich natürlichsten Tätigkeiten wirken unnatürlich, wenn einen das Stadtleben verdorben hat. Zuviel Latte Macchiato-Pülverchen und Mate Tees haben Käthes Körper verseucht. Sie hustet ganze Wackersteine. Besser gesagt, sie hustet Bürgersteigkanten aus Hamburg. Die Rauchversuche verglimmen also. Ich versuche mich zu langweilen. Jedoch funktionieren weder Internet noch TV und ich bin ausgesprochen gut unterhalten.



22. März 2008