Zu spät

Die Lebenszeit von Mama war kurz und sie starb einen elenden, einen langsamen, auszehrenden Krebstod.

Und doch - war ihr Sterben von Würde begleitet, von klaglosem, wortlosen Annehmen, von der Zuversicht auch, dass es seine Ordnung hat mit diesem Sterben. Ich habe es nicht verstanden - damals - war nur zornig auf diesen nicht mehr funktionierenden Körper, der zu schwach war sich zu wehren und mich zwang, wieder und wieder zwang, mich mit der Endlichkeit auseinander zusetzen.

Lange nachdem Mama nicht mehr sprechen konnte, zeigte sie mir mit Gesten, dass sie ihre Beine aufstellen wollte, denn die Kraft dies alleine zu tun, war lange schon gewichen. Und wie oft habe ich diese schlaffen, müden Beine aufgestellt und festgehalten, ihre bleierne Schwere verflucht, wenn sie mir wieder und wieder aus den Händen glitten.

Und dann starb Mama, erschöpft, ausgelaugt, klein gemacht wie ein Kind hauchte sie ihren letzten Atem aus und ich war einfach nur froh. So froh, dass es vorbei war, dass ich dieses quälende Weniger Werden nicht mehr länger ansehen, nicht mehr aushalten musste und auch froh, dass der Tod so behutsam mit ihr umgegangen war, dass er sie durch "ihren Tunnel" führte. Jenen Tunnel von dem sie manchmal sprach, als Sprache noch möglich war und auf den ich niemals richtig eingegangen bin aus Furcht, aus Hilflosigkeit.

Auch ihren zaghaften Fragen nach einem Weiterleben bin ich immer ausgewichen, habe mich ihnen nie wirklich gestellt aus Angst etwas Falsches zu sagen oder das Unaussprechliche damit heraufzubeschwören.

Jetzt ist es zu spät dafür. Unwiederbringlich zu spät.

(Schneevogel)

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