Josef Koudelka: „Exiles and Panoramas 1968-2012“

Beschreibung

Bis zu meinem Besuch im Ernst Leitz Museum im Oktober 2020 hatte ich noch nie von Josef Koudelka gehört.
Ein Fehler – den ich nun wenigstens ein kleines bisschen bereinigen konnte ….

„Josef Koudelka und der Blick für das Wesentliche

Der heute 82 Jahre alte Josef Koudelka gehört zu den Fotoreportern mit Weltgeltung. Jahrzehnte lang war er für die Agentur "Magnum" unterwegs und hat Menschen fotografiert, später hat er Panoramen von Landschaften gemacht. Beides ist jetzt in einer großen Schau in Wetzlar zu sehen.
Von Alf Haubitz

Wer ist Josef Koudelka und was zeichnet ihn aus?
Der gebürtige Tschechoslowake ist heute 82 Jahre alt, war Flugzeugingenieur bis ins Jahr 1967. Er hat sich früh mit Fotografie beschäftigt, in Theatern und auf der Straße fotografiert, Reportagen gemacht, etwa über Roma, war dort schon sehr nah dran an den Menschen und hat ihnen Gesichter gegeben. Als er 30 wurde, 1968, marschierten Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei ein. Er macht Fotos davon, von jungen Leuten, die mit den sowjetischen Soldaten sprechen, der berühmte gereckte Arm eines Studenten, Bilder von Frauen, die sich Panzern in den Weg stellen - und sein vielleicht ergreifendstes ist das von dem großen Boulevard in Prag. Diese breite Straße ist vollkommen leer, es herrscht Ruhe wo sonst munteres Treiben ist - und Kouldelka hält seine Armbanduhr ins Bild. Es ist Nachmittag und die Panzer kommen. Gespenstisch.

Diese Bilder gingen um die Welt....

.... und die Tschechoslowakei erlebt nach dem so genannten "Prager Frühling" Straßenkämpfe mit 150 Toten, politische "Säuberungen" und eine Abkehr vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Koudelka muss das Land verlassen und wird staatenlos, ein Exilant ohne Möglichkeit seine Heimat wiederzusehen. Er geht nach Großbritannien, erhält dort Asyl, und beginnt in ganz Europa Fotos zu machen. Und weil seine Fotos so nah dran sind, wird er Magnum-Mitglied, erhält den Ritterschlag der vielleicht wichtigsten Fotoagentur der Welt.

Was macht er mit seinem frühen Ruhm?

Er ist jung, er reist, rastlos, schließt sich Menschen an, kommt ihnen sehr nah - und das sieht man in den Bildern. Er nimmt an einer Beerdigung in Rumänien teil, er macht Bildern von irischen Betrunkenen, er bereist Jahrmärkte in Spanien, er hat keine feste Bleibe. Man erzählt sich, dass er wirklich nur mit zwei Paar Socken und einer Tüte voll Kleidung und einer voll Filme in Europa unterwegs war. Und dieses Getrieben-Sein, dieses Dauer-Exil, das lässt ihn so mitfühlend, so liebevoll auf die Dinge blicken.

Da sind Menschen, denen es auch nicht gut geht, die allein sind, die arm sind wie er. Er portraitiert in Paris nicht die Reichen und Schönen auf den Champs-Elysées, sondern macht einen Schnappschuss von einem streunenden Hund im Schnee. Das macht er viele viele Jahre, immer wieder sucht er Menschen in Situationen, in denen man eigentlich nicht fotografiert werden möchte, also Männer beim Pinkeln, Zirkusleute, die völlig erschöpft abhängen - das ist mitunter eine Ästhetik wie in einem Film von Fellini, schwarzweiß, voller Kontraste, sehr ergreifende Bilder. Eine Poesie, die er wollte, die er komponiert hat.

Wie passen diese Bilder in das neue Museum in Wetzlar?

Alte Bilder treffen auf einen Neubau: Koudelka hat in diesem großen Ausstellungsraum einen Kranz aus seiner Reportagefotografie an den Außenwänden gelegt, strikt nebeneinander, ab und zu übereinander: Da hängt dann eine alte Spanierin, die einen Türdrücker, eine vergoldete Hand, poliert, direkt neben dem Baby im Körbchen in einer dreckigen Gasse, ein alter Mann schaut auf eine Taube - das sind quasi Themen-Triptychen mit Bildern aus verschiedenen Jahren und Ländern - das wirkt überdeutlich, er sagt: Schaut auf die Menschen!


Mit seinen Panoramen wurde Koudelka wieder ganz anders bekannt.

Das ist der zweite Teil, die Panoramas: Ebenso beeindruckend, aber ganz anders. Er hat ab 1980 mit einer sehr großen und schweren Kamera gearbeitet, die das Negativformat von 6 mal 17 Zentimetern belichtet, also Rollfilm, aber Super-Cinemascope.

Da sehen wir dann antike Säulen in Jordanien, aus den eine Marmorhand ragt, eine Lenin-Statue, die auf einem Schiff liegend abtransportiert wird, ein Tagebau-Fließband grau in grau mit drohenden Wolken, ausgewaschene Steinhalden, Panzersperren in den Normandie, einen einsamen Weidenbaum im Schnee. Riesige Bilder, schwarz und weiß, mit einem kräftigen, einem vergrößert riesigen Korn, große Formate mit überwältigenden Motiven. Und auch hier wieder: Nah dran an den Dingen, aber nicht distanzlos, keine Menschen sind zu sehen, er zeigt seine Heimatlosigkeit in Landschaften, die geschunden sind. Und in den Mauern, mit denen sich Israel abschotten möchte, unglaublich mächtige Motive, man steht davor, ist mittendrin, leidet mit der Natur und den Menschen, die ja vorhanden sind, wenn auch hier nicht zu sehen.

Wie beeindruckend ist das insgesamt?

Sehr, ein ganz großer Fotograf stellt hier aus, ein Chronist mit einer herausragenden Ästhetik, was Bildaufteilung und Licht angeht. Beide Teile der Ausstellung sind unbedingt sehenswert und die Reise nach Wetzlar wert. Und was wirklich auffällt: die Fotografien sind hervorragend ausgedruckt, das Museum steht vom Namen her - Leica hält ja die finanzielle Hand darüber - für Qualität, aber hier sehen wir Prints, die im Museumsbereich sonst nur selten zu finden sind. Und die Ausstellung ist trotz des Alters der Aufnahmen von 50, 40, 25 Jahren sehr aktuell: Koudelka gibt uns angesichts der aktuellen dramatischen Flüchtlingsbewegungen folgendes mit auf den Weg: Auch ich war ein Exilant, "you never return from exile", "wenn Du einmal fort musstest, kommst Du niemals zurück". Man wünschte, dass einer wie Josef Koudelka jetzt an die türkisch-griechische Grenze geht und so wie er fotografiert, was sich da an Leid und Elend abspielt.“

Quelle: Sendung: hr2-kultur, Kulturfrühstück, 6.3.2020, 7:30 Uhr

https://www.hr2.de/programm/in-wetzlar-fotograf-josef-koudelka-und-der-blick-fuer-das-wesentliche,artikel_fk_koudelka_wetzlar-100.html

Wetzlar, Ernst Leitz Museum, 20.09.20.
Panasonic Lumix LX 15.