Ganz schön abgewandt - aber schön - S-Bahn Romanze

Beschreibung

Freilich ein Handyshot im Tunnel zwischen Altona und Hbf

S - Bahn fahren (Auszug)

Die Atmosphäre des alltäglichen Lebensraumes weiß ich als passionierter und professioneller S-Bahn Fahrgast als eigenen Mikrokosmos zu verstehen. Diese Mischung aus Angstschweiß, Genervtheit und Verspätung ist das Bemerkenswerte des rollenden Wohnzimmers. Ich betreibe das S-Bahn benutzen wie den Griff in die eigene Westentasche. Ich gleite blind durch das System des öffentlichen Verkehrs und empfinde mich selbst oft als unauffindbar. Ich bin ein virtuoser Fahrgastzellengast und so eine Fertigkeit fällt einem nicht von alleine zu. Dabei ist es die besondere Kunst der Fehlervermeidung, welche mich zu einem Könner macht.

Betrachten wir eine ganz übliche Fahrt von sagen wir vierzig Minuten Länge, so kann ich mein Verhalten, welches die Regel bis Vorschrift sein sollte, als vorbildlich beschreiben. Ich steige ein, begebe mich in einen verwaisten Sitzvierer, setze mich nieder und halte das Maul. Beliebt ist allerdings ständiges aufstehen, räuspern, grübeln und am Wagonhimmel Streckenplan lesen. Das ist sehr amateurhaft, dumm und unerträglich.

Hochhackige Honigkuchenpferde mit Absatzfrisur schlängeln sich an dem notorischen Streckenplangucker vorbei und ignorieren stets mit angstverzerrten Augen das Schild „Tür unbenutzbar“. Wenn nach mehrmaligen hastigen Druck des „Door Open Buttons“ die Technik versagt, wird zunächst in Ruhe das Schild gelesen, möglicherweise begriffen und in Panik die nächste Tür aufgesucht um auf den Bahnsteig zu gelangen. Dabei wird natürlich der selbst Schuldige Fahrstreckengucker angerempelt und als „Arsch – der aus dem Weg zu gehen hat“ betitelt. Der Kerl ruft der entzückenden Gazelle nach: „Blöde Kuh!“ Während einer 40minütigen Fahrt erlebe ich das im Schnitt geschlagene sieben Mal. Sei´s drum – ein „Tür unbenutzbar“ – Schild ist nicht für Gelegenheitsfahrgäste gedacht.

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