Sex mit der Chefin

Beschreibung

Handy in S-Bahn und zwar zwischen Ohlsdorf und Barmbek - Westseite

Sex mit der Chefin

Die Blödheiten folkloristisch journalistischer Leistungen, zeigen sich oft schon in den Titelschriften. Wenn ich da so manches lese, werde ich traurig und möchte mich dringend zurückziehen. Das mache ich dann auch. In der Zurückgezogenheit habe ich dann Gelegenheit zur Stärkung der Defensive. Dazu gehört z.B. offensives Ausatmen mit Ton. Wenn man die dann an die Fensterscheibe haucht – also die Defensive – dann kann man sich mit dem Finger Wünsche ausmalen. Die Fingerkuppen werden kalt, aber die Wünsche nicht weniger grandios. Ich würde gerne um Mitternacht lautstark in der Badewanne liegen und zotige Lieder singen. Dieser Wunsch beinhaltet die Beschwerde der Nachbarn, denn wenn ein Wunsch, dann ein VOLLKOMMENER.

Wer einmal mit einer Kunsthistorikerin S-Bahn gefahren ist, weiß wie unbefriedigend diese Gespräche sind, insbesondere dann, wenn man bei der Frau Eindruck machen will. Ich würde mir für solche Fälle immer ein bedeutendes Gesicht für die richtigen Stellen wünschen. Ich hätte auch gerne so ein seltsam verklärtes Kopfnicken drauf, zudem ich schweigen könnte. Bislang habe ich mich immer in Gespräche verwickeln lassen.

Ich sehe die Zeitung auf dem Tisch liegen. Westerwelle, dieser Gustav Gans des neoliberalen Benehmens schimpft über die Flegelhaftigkeit von Mitpolitikern in dementsprechend verwahrlosten Einrichtungen, wie dem Bundestag. Neben solch intelligenten Artikeln gibt es die besagten Überschriften mit einfacher Struktur: Frau jagt Mörder, Postbote beißt Hund, Poppstar wird Popstar oder Sex mit der Chefin.

Um der Überschrift dieser Geschichte Rechnung zu tragen, beschreibe ich mal meine Chefin: zierlich, nervös und hübsch. Graumelierte und modisch kaum toupierte Haare. Sie müsste ca. fünfzig sein und drückt hinter ihren großen braunen Augen, die mich gütig ermahnen, eine beneidenswerte Autorität aus. Sie dreht sich manchmal von mir weg, wenn sie Strategien entwickelt und auf eine Weise nachdenkt, die mir nicht gegeben ist. Wir hatten noch nie Sex miteinander, was vielleicht daran liegt, dass sich unsere Rollen so mit unserem Tun verknüpft haben, dass für außerordentliche Prozesse kein Raum ist.

Mit Käthe hatte ich zwar schon mal Sex, aber unsere Rollenspiele haben große Ähnlichkeit mit den Spielen, die meine Chefin und ich betreiben. Bislang ist mir nicht eingefallen, dieses bedenklich zu finden.

5. Januar 2006