Pausenbier Centro

Beschreibung

Foto von meiner Frau

13.6.2010 Centro Sociale

http://www.labskausromantik.de mit VogesMayerTrio in der Pause - links herr Voges - in der Mitte ich.


Neue Geschichte zur lebendigen Vergangenheit

Alte Frau

„Alte Frau ist kein D-Zug“, pflegte meine Oma immer zu sagen. Sie sagte es zu jedem Anlass. Auch, wenn es überhaupt nicht passte. Wir mussten immer die Fußgängerbrücke überqueren, welche über die Schnellstraße führte, um von meinen Eltern zur Oma zu gelangen und umgekehrt. Manchmal holte mich Oma mit ihrem Pudel ab. Sie hielt auf der Brücke drei Mal an. Sie verschnaufte und sagte dann: „Das Herz!“ Ich schaute immer über das Geländer zum weiß getünchten Haus von Dr. Brettschneider hinunter.

„Ach geh mir weg, der mit seinen vielen Frauen und alle drei Jahre die Couchgarnitur ausgetauscht.“ Oma hatte auch etwas Modernes erworben. Eine Schrankwand ganz in schwarzweiß aus nicht massivem Furnier. Mir gefiel sie nicht, genau wie Omas blondgraue Perücke, aber ich lächelte freundlich. Dunkles echtes Holz zur Oma war mir lieber. Sie holte nun das Glas aus der modernen Schrankwand und goss mir Orangensaft ein. Nicht den von Aldi, sondern den von Edeka.

„Das ist Sache was! Alte Frau ist kein D-Zug!“ Dann spielten wir „Mensch ärgere dich nicht!“ Sie ließ mich gewinnen, denn ich war ja so sensibel und zart und hatte immer was mit den Mandeln und Polypen.

Manchmal jagte der Pudel den Wellensittich Maxi. Er bekam ihn nie. Oma hatte vor dem Krieg einen Tabakwarenladen. Deswegen konnte sie für den Hund Knochen für umsonst dem Fleischer, wie mein Vater sagte, aus dem Kreuz leiern. „700 Mark Rente gehört gut eingeteilt.“ Nur für mich war ihr nichts zu teuer und ich bekam bei ihr immer richtige Knochenbrühe von ihrem Federbett aufgewärmt. Die schmeckte anders, als bei Mutter. Vielleicht, weil meine Mutter polnische Vorfahren hatte und Oma anhaltinische. Omas Suppen schmeckten immer ein wenig nach Fotolabor ohne Fixiersilber.

Meine Großmutter hatte einen Verehrer im Haus, den Herrn Johannsen aus Wolfsburg. Früher in Sachen „Mieder- und Kurzwaren“ unterwegs. Wenn er uns im Treppenhaus traf, schaute er erst einmal gerne zu, wie die alte Frau gebückt die Treppe machte. Genau wie ich. Er strich mir über den Kopf. Dann erzählte er Oma, dass er neue Herztabletten hätte, die viel besser wären, als die vorherigen. Das berichtete er ihr jedes Mal. Der Witwer wurde bald neunzig. Dann sagte er: „ich bin ja gegen die Prügelstrafe, aber in ihrem Fall ...!“, und verbeugte sich nach alter Schule und verschwand. Anschließend gab es Nachtisch für mich.

„Pudding oder Waldmeister? Das ist Sache was. Alte Frau ist kein D-Zug.“
Oma bettete den Suppentopf ins Federbett zurück und sagte mir, dass ich zuhause anrufen solle, wenn ich noch den „Rosaroten Panther“ schauen möchte. Sie sah traurig aus. Dem Wellensittich Maxi ging es nicht gut und Herr Johannsen sah so verhärmt aus, wie Opa damals. Die Frau von Herrn Johannsen hatte sich vor dreißig Jahren auf dem Dachboden erhängt, weil er immer so lange fort war mit seinen Miedern. Und jetzt sah der Herr Johannsen wirklich ganz schlecht aus und Maxi gab keinen Ton mehr von sich.

Am nächsten Morgen hatte ich Schule. Am Abend gab es bei Oma wieder Orangensaft und Knochenbrühe. Oma weinte. Maxi stopften wir in die Schachtel von meinem ersten Schulfüller. Pelikan, nicht Geha.

„Guck mal, so schön die Stiefmütterchen auf dem Balkon!“, sagte Oma. Zur Beerdigung von Herrn Johannsen wollte ich nicht mit.
„Dummer Junge!“, schimpfte meine Großmutter.

19. Juni 2010

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