Ei guck ei da

Beschreibung

Mit meinem Vater 1989 inner Schweiz - Foto von meiner Frau mit Nikon F 801

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Neue Geschichte

Jonathan kauft sich einen Fotoapparat


Mein Vater war früher ein großartiger Fotograf. Er besaß so einen Kasten aus Leder und Metall, mit Rädchen, Lamellen, Hebeln und Tabellen. Das Ding surrte wie eine alte Singer. Es klackte geschmeidig und dennoch satt. Überall in der Wohnung trockneten weiß umrahmte Schwarzweißabzüge, nach Chemie und der großen weiten Welt duftend. Frauengesichter in 30 x 45 per Wäscheklammer aus Buchenholz feucht in der Wohnung baumelnd. Mit Hut und edlem Geschmeide und immer die Hand am runden Kinn. Weiches Licht für Mädchen, hartes für Männer. Mein letzter Knipskasten hat vor zwanzig Jahre den Geist aufgegeben. Er schimmelt dahin, wie die weiß umrandeten oder gezackten Erinnerungen, unfreiwillig unscharf wie Hamiltons Lolitakitsch. Heute ist ja alles so einfach. Bunt und knackscharf und sofort da und auch sogar für meinen Geldbeutel. Drum entschließe ich mich zum Kauf eines neuen Apparates

Käthe freut sich darüber. Dann kann ich sie endlich mal im Urlaub knipsen, altersgemäß hängebusig am Strand, aber mit dem Stolz ihrer immer feiner werdenden naturroten Locken, welche wie guter Wein reifer und satter strahlen und wie ihr Kussatem immer trockener und herber schmecken.

Die Fotofachverkäuferinnen haben zugenommen seit dem letzten Mal vor etlichen Jahren. Sie beraten auch kundiger. Meine ist schön und groß und üppig. Die kleine Kamera, die sie mir vorführt, liegt wie ein Stück Schmucketui in ihren großen Händen. Das Ding hat einen Designerpreis erhalten und ist eine Sensation, wie ich erfahre. Es kann alles was der Markt befiehlt, sogar die Objektive kann man wechseln, viele geile Schlitze für Speichermedien liegen vor und es ist trotz vorbildlicher Verarbeitung nicht so teuer, wie man erwarten müsste. Alles ist kratzfest, man kann also bestimmte Kratzer an festen Stellen installieren. Trotz allem natürlich zu teuer für mich, aber man kann einen Ratenverkauf vereinbaren und Regine (so heißt die Fachverkäuferin) ist bereit mit mir einen Kaffee trinken zu gehen und mir dort noch einmal die Tücken der modernen Fotografie beizubringen. Und so erwerbe ein Stück schönes Niedriglohnasien.

Ich bin begeistert. Und Käthe ist es auch. Jedes Bild wird was und einen Film braucht man gar nicht, nur einen Computer mit Internetanschluss um seine Bilder auch gleich der ganzen Welt und seinen Freunden zu zeigen. Den kaufe ich gleich dazu. So sexy und erhaben habe ich Käthe schon lange nicht mehr erlebt. Sie posiert in jeder Lebenslage und kocht tolle aphrodisierende Speisen vor ihren blanken Brüsten, knackscharf und frontal angeblitzt. Mit dem „Haut und Nippel Erkennungsprogramm“ funktioniert das wunderbar. Auch die Nachbarinnen im Garten bilde ich unaufgefordert ab und begeistere sie mit meinen Ergebnissen per Email. Ich konzentriere mich auf ein Motiv und vergesse die Technik. Den Rest macht diese kleine wundervolle Kamera mit dem leuchtenden Bildschirm hinten drauf. Ich bilde mich fort, besuche Workshops für Akt – und Tierfotografie in Israel und auf Rügen, kaufe mir ein Schwarzweißteleobjektiv und werde der berüchtigste Streetfotograf unseres Viertels. Freilich haben meine Fotos keine Seele, wie Vaters Damenköpfe und alles ist quietschbonbonfarbend und megapixelig. Aber meine Kamera kann alles. Selbst die kundige Regine konnte mir beim Kaffee trinken wenig beibringen. Ich kann sogar Kunst jetzt. Vollpfosten im Halbschatten mit einem Glas frischgepresster Kuhmilch bei Bewölkung und ohne Sonnenuntergang, sepia und mit Rosenkranzrahmen. Kann man alles in der Kamera einstellen. Und das Ding surrt wie eine Singer und klackt satt, jedenfalls fast, zumindest wenn man will. Kann man alles einstellen. Aber ich lass mich treiben. Es kommt ja auf die inneren Werte eines Bildes an. Nicht auf die Technik, sondern auf die Ehrlichkeit.

Aber ich bin traurig. Das Ding ist jetzt kaputt. Immer wenn ich sie anstelle und ich ein Motiv anvisiere, schaltet sie sich wieder aus, trotz stramm gefüllter Akkuladung. Ich hoffe auf eine kleine dumme seelische Störung innerhalb der Garantiezeit. Tief gebeugt trotte ich zu Regine.

Sie lacht mich aus: „Du hast das Fotowettbewerbsprogramm aktiviert. Immer wenn Du ein Motiv anvisierst, welches nicht genug Votingstimmen bekommen kann, schaltet sich das Gerät wieder von selbst aus!“

Jetzt habe ich große Zweifel an meinem Talent und überlege, diesen großartigen, weltbesten Fotoapparat jemandem zu verkaufen, der fotografieren kann.


23. Oktober 2009