Die Schrammelbudenwiese 3

Beschreibung

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Foto Juni 2007 - Nikon

neue Geschichte

Die Suppe des kleinen Mannes

Sie trägt die Haare hochgesteckt. Ihr Augenaufschlag wirkt formal und unauffällig. Doch ab und zu sieht sie zu mir herüber. Kurz, mit dem Anflug eines Lächelns. Die Arme aufgestützt, den Kopf auf den Blütenkelch gelegt. Ab und zu flüstert ihr Mann ihr etwas ins Ohr. Grimmig sein Ausdruck. Seine Stirnfalten tief. Ihre leicht zugewendeten Gesten, ihm abgewendet, passen ihm gar nicht. Gleich kommt er zu mir. Nein, ich fordere ihn nicht heraus. Ich sehe nach unten in mein Essen, mein vollkommen unverdächtiges Essen. Ich bin ja in dieses Lokal gekommen, um zu essen.

Eines der besseren Lokale, in denen man auch einfache Speisen bekommt. Die heißen dann aber nicht einfach. Man redet hier schon auch „von der Tomate“ oder liegt „an der Kartoffel“ oder man begibt sich „in den Fisch der Südsee.“ Das ist beinahe indianisch. Indianerfrauen heißen eben auch nicht einfach Marion, oder Gisela oder Käthe. Die Speisen sind wie Krieger und Landschaften. Sie brechen eine Lanze und man raucht anschließend eine Friedenspfeife, wenn es schmackhaft war. Aber „schnick und schnack“ gibt es hier weniger. Die Kellner duzen einen auf Verlangen, die Kellnerinnen fragen offenherzig nach Nachschlag.

Er atmet ihr erbost Eiskristalle an den Hals. Ich schlürfe derweil vollkommen teilnahmslos eine einfache Suppe, die ich hier immer esse, weil sie „Die Suppe des kleinen Mannes“ heißt. Diese Suppe ist mir nah und zumindest ist sie warm, warm wie das in die Pfanne fließende Bratfett meiner Mutter. Eine SMS meiner Freundin Käthe. Berufsverkehr, Kantinenvöllegefühl und eine spontane Verabredung mit Monika.

Die Frau am Nebentisch in diesem Abendkleid und mit diesem aufregend zurückhaltenden Flirtmund ist noch sehr jung. Keine dreißig würde ich denken. Ihr Mann ist etwa in meinem Alter. Ein sportlicher Typ, aber klein und grau, so nichts sagend wie ein Halbmarathonläufer. Mein Bier schäumt über. Sie kichert kurz. Er bekommt eine hochrote Birne. Ich lese von seinen Lippen ab und sehe ihn „Schlampe“ zischen.

Der Abend könnte so schön sein ohne ihn. Käthe und Monika die halbe Nacht unterwegs und ich allein mit dieser Frau und meiner Suppe. Seine Empörung wirkt nicht gespielt, ich spüre schon seine Faust an meinem Kinn. Ich fische zwei Fleischklößchen aus der Suppe und werfe sie lächelnd und liebevoll zielend zum Nachbartisch herüber. Ein Klops trifft die Stirn des sportiven Cholerikers, der andere landet im makellos appetitlichen Ausschnitt der Dame. Angewidert entfernt der Herr das Fleischbällchen vom Busen seiner Frau und beschwert sich mit pulsierenden Halsadern beim Kellner. Sie erhebt sich aber köstlich unterhalten und tanzt angenehm erfrischend und etwas frivol nach der leisen Jazzmusik im Hintergrund.

Man bittet mich höflich das Lokal zu verlassen, weil die Herrschaften sich am Nebentisch belästigt fühlen würden. Ich zahle meine Suppe und gebe ein üppiges Trinkgeld. Ein kräftiger Kellner begleitet mich zur Tür. Seine Hand packt fürsorglich meinen Kragen und schleift mich hinter sich her. Vor der Tür wird mir sehr freundlich noch das Hausverbot ausgesprochen. Wie ein seltsamer Kauz winke ich durch die Fensterscheibe. Die junge Frau winkt mir heftig zurück und bewirft sich mit Reis und Fisch. Ihr Mann garniert sie laut schreiend, sodass ich das ich es draußen gut hören kann mit offenbar verbrühender Petersiliensauce. Kreischend verlässt die Verletzte das Lokal. Ihr Mann wird vom selben Kellner, der mich hinausbegleitete, aus den Räumlichkeiten entfernt. Man hört den Halbmarathoni schrill „Scheidung“ rufen.

Die junge Dame und ich haben noch einen sehr schönen Abend in einer Cocktailbar, in der Frauen, die nach Essen stinken etwas ganz Normales sind. Mich erkläre ich zum Helden der Nacht.



18. November 2008


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