Schwarzwald 1987 plus Kartoffelecken

Beschreibung

Selbst 1987 im Schwarzwald im Jahresalbum 1987

und dazu eine ganz neue Geschichte, die nichts mit dem Bild zutun hat.

Kartoffelecken

Zu meinem Entsetzen bekomme ich eine Serviette gereicht. Ich rieche skeptisch an der gesunden Gemüsesuppe. Eine Note aus Thymian, Muskat und Lorbeer liegt in der Luft. Silvia streift ihr elegantes rotes Kleid zurrecht, über dem sie eine blendend weiße Schürze trägt. Ich vermisse den strengen Bratgeruch der Würstchen. Sehr gut aufgefangen von vielen neuen Naturaromen. Die Biokalbswurst für die Spezialcurry muss auch sehr sorgsam behandelt werden. In der Sauce ist ein Öl mit Zitronengras, dieses soll zur Geltung kommen. Dezent aber fordernd. Einmalig sozusagen.

Auf Pommes mit Kaffee verzichte ich heute. Beides hat Silvia von der Karte gestrichen. Es gibt nur noch Cafe Creme oder Latte Macchiato und Kartoffelecken, Kartoffelspalten oder Kartoffelspäne. Letztere mit Ingwer oder Walnusspaste. Man isst mit einer richtigen Gabel aus einer richtigen Porzellanschale. Dann also lieber die Tagessuppe. Ungewohnt sanft berührt sie meinen Gaumen. Die Arbeiter von der Baustelle nebenan holen sich ihr Bier aus dem Kühlschrank mit spiegelfreier Scheibe und gehen wieder. Dafür trinken tief dekolletierte Damen grünen Tee mit einem Schuss Champagner zur Spezialcurry mit Hummersauce. Silvia strahlt verschmitzt. Taghelle Neonlampen beleuchten sie vorteilhaft ihre Figur betonend, auf ihrer neuen Bühne mit Parkettboden. Sie sortiert mit Hand bemalte und essbare Wurstanfasser. Ringellocken, einer Spiralfeder gleich, springen fröhlich vor ihrem zwanzig Zentimeter langen Silberohrring auf und ab.

Gestern gab es hier noch Leberkäse mit einem pappigen Kartoffelsalat, den ich insbesondere immer dann geliebt habe, wenn ihn mir Silvia serviert hat. Mit bekleckerter Jeans hinterm Tresen oder in so einem alten blauen Overall. Es war so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstand. Die Bauarbeiter haben die Bierdosen auf den Plastiktischen stehen gelassen und dazu auch schon mal zwei oder drei Frikadellen mehr bestellt.

Heute ist es hier angenehm leise. Die stark parfümierten Damen mit ihrer Biokalbscurrywurst flüstern bedächtig. Es läuft nur dezente klassische Musik aus dem neuen Soundsystem, welches ein Klangdesigner installiert hat. Das beeinträchtigt meine Verdauung. Musikalisch geht es auch auf der wohlriechenden Sanitärlandschaft zu. Man wird von allen relevanten Seiten frisch gewaschen, feucht geleckt, zimmerwarm gepudert und trocken geföhnt. Etwaige Darmgeräusche werden von einer High Tech Anlage mit einem Kleid aus gebürstetem Leichtmetall zu wohl klingender Musik umgewandelt. Zwei Praktikantinnen mit Zungenkondomen stehen einem zur Schlussreinigung nach diesem Erlebnisbesuch auf der Toilette zur Verfügung. Dafür ist das Benützten des WC`s auch erheblich teuerer, als die Tagessuppe.

„Zufrieden?“, fragt mich meine Grillwirtin am Ende meiner heutigen Mittagspause.
„Ich will nachhause!“, sage ich und nehme mir noch einen Fruchtsaft mit.



14. Oktober 2008



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