Das Lächeln der Hmong

Wochenmarkt in Sa Pa (1600m) im Norden von Vietnam an der Grenze zu China. Trekkingtour allein mit einem einheimischen Führer im November 2011.
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Ein Bericht über die eigenwillig urwüchsige Bergregion, welche sich noch dem Fortschritt entgegenstemmt - meine neueste Trekking Erfahrung:

Obwohl die Wirtschaft des Landes boomt, leben die Bergvölker im Norden Vietnams noch sehr abgeschieden. Ein Besuch ist nur mit einheimischer Begleitung erwünscht. Die Franzosen nannten die Gegend schon früh "Tonkineser Alpen". Man muss gut zu Fuß sein.

Um sechs Uhr morgens beginnt die Umerziehung. Die Lautsprecher im Nachtzug nach Lao Cai setzt ein, eine weibliche Stimme spricht mit hartem Klang. Ausdauernd, monoton. Mag sein, dass die Schönheit des Roten Flusses gepriesen wird oder das Wetter für die Berge vorhergesagt. Es ist jedenfalls unverständlich und klingt wie eine Rede des Genossen Ho Chi Minh nach einem weiteren Sieg des Vietminh im Indochinakrieg gegen die Franzosen. Siegesgewiss quäkend, ein bisschen routiniert. Der Schlafende erwacht also aus unruhigen Träumen und findet sich in einem postkommunistischen Land wieder.

Bei den Bergvölkern im Norden des Landes

Draußen ist tatsächlich der Rote Fluss zu sehen, träge, rotbraun, zwischen viel fettem Grün, und der Zug rattert langsam voran.

Irgendwann, es sind zunächst nur Wortfetzen, die sich ins Hirn schleichen, wird klar, dass die Stimme nicht mehr Vietnamesisch spricht, sondern Englisch. Satz um Satz erklingt, die Tonlage ist ein wenig höher, doch was die Sprecherin mitteilen will, steht in den Wolken. Die Sprache bleibt gleichermaßen unverständlich. Hinter dem grünen Flussrand türmt sich Nebel. Vietnam ist, nun ja, ein undurchsichtiges Land.

Kühler und angenehmer als in der Ebene von Hanoi

In der Provinz Lao Cai, ganz im Norden Vietnams, sind die Dinge ohnehin ein wenig verwirrend. Der Rote Fluss heißt hinter der chinesischen Grenze Gelber Fluss. Auf dem Gelben Fluss fahren Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ins rot-weiß-gestreifte Gebirge, die Berge hier werden auch Tonkineser Alpen genannt, weil die französische Kolonie Tonking Nordvietnam und Teile von Laos umfasste. Die Franzosen merkten schon früh, dass es hier kühler und angenehmer war als in der Ebene von Hanoi. Sie ließen Hotels bauen und eine Kirche.

Aber ob die Berge rot-weiß-gestreift sind? Eine tolle Vorstellung. Wenn nur der Nebel nicht wäre. Bei Jim Knopf befindet sich hinter dem Gebirge das Land der Drachen mit der strengen Frau Malzahn, die entführte Kinder mit Mathematik traktiert. Wir wollen hier aber nicht bezeugen, dass es in Nordvietnam Drachen gibt, gleich gar keine, die entführte Schüler Rechenaufgaben exerzieren lässt. Selbst wenn die Stimme im Zug irgendwie danach klingt.

Ziel der Fahrt ist die Grenzstadt Lao Cai. Hinter den nächsten Bergen beginnt China, wir fahren nördlich, der Bus schlängelt sich auf Serpentinen hoch. Der Nebel lichtet sich, das Land ist ungeheuer grün. Nirgends erblicken wir Rot-Weiß. In den Feldern stehen Frauen in schwarz und arbeiten.

Sa Pa, auf 1600 Meter gelegen, ist ein kleines Städtchen mit Markt und mehr Geschäftigkeit, als man in dieser Gegend erwarten darf. Sa Pa wird touristisch ausgebaut: Hotels wachsen, Züge und Busse verkehren schon häufiger als früher, die Straße soll verbessert, ja eine neue, mehrspurige Autobahn von Hanoi aus gebaut werden. Der Wirtschafts-Boom in Vietnam hat auch die fern gelegenen Regionen erfasst. Das Treiben in Sa Pa ist aber noch deutlich traditionell, älter auch als die Lehren der kommunistischen Vietminh. Wer fingerdicke, bienenartige Insekten zum Verzehr kaufen möchte, findet Gelegenheit.

Mit Röcken und Wadenstrümpfen

Ursprünglichkeit lockt. Und fremde Sitten. Vor allem die schwarzen Hmong und roten Dao leben rund um Sa Pa in winzigen Dörfern und Siedlungen, und die meisten Touristen kommen hierher, um zu wandern und die Stämme zu besuchen. Der höchste Berg Vietnams, der Fan Si Pan mit 3143 Metern, lässt sich ebenfalls von Sa Pa aus angehen.

Die Bergstämme haben sich mit den Besuchern arrangiert, sie verkaufen selbstgefertigte Kleidungsstücke, allerlei Bänder und Tand, und sie zeigen ihren Schmuck her.

Die Hmong und die Dao tragen Röcke und Wadenstrümpfe, die Xa Cap, von denen schon Peter Scholl-Latour Anfang der 50er-Jahre schwärmte, die Pariser Modedesigner könnten sich hier etwas abgucken. Wahrscheinlich haben sich auch die Hohepriesterinnen des Aerobic in den 80er-Jahren von den Xa Cap inspirieren lassen, und jetzt ist es eben umgekehrt, alles westliche Populärgut ist bei den Hmong hoch willkommen.

Lachend und mit einer Mischung aus Neugier und Scheuheit stehen die Frauen vor den Hütten. Scharen von Kindern laufen barfuß und in kurzen Hosen über die schmalen Wege. Die Hmong-Männer zeigen sich nie.

Die Touristen betreten eine Hütte. Vorn ist das Feuer, Rauch hängt in allen Räumen. Hinten, im Dunkeln, wird gearbeitet. In mehreren Fässern lagert Indigofarbe. Stoff wird eingetaucht und blau gefärbt. Ein junges Mädchen, vielleicht 17 Jahre alt, fixiert den Stoff, so gut es geht. Auf dem Boden liegt ein etwa ein Meter langes Holz. Der Rücken ist rund geschliffen. Das Mädchen legt den Stoff auf das Holz, nimmt ein zweites Stück Holz, das etwas breiter ist, legt es quer und stellt sich darauf.

Dann balanciert und wippt sie über das Rundholz, das Stoffstück wird gepresst, ein bisschen blaue Farbe läuft auf den Boden. Der Stoff wird ein wenig gerückt. Wieder auf das Holz, wieder wippen, wieder bücken und zum Stoff greifen. So setzt sich die Farbe fest. Und die ganze Zeit über, während das Mädchen selbstvergessen arbeitet und die Touristen ihr dabei zuschauen, hat sie ihr kleines Kind auf dem Rücken. Das Baby ist im Tuch festgeschnallt und wippt mit.

Ihr Vater hat insgesamt 13 Kinder, er wirkt stolz. Der Nachbar habe sogar 17 Nachkommen, erzählt er.

Eine Kuh ist ein Besitz, der zu Stolz berechtigt

Mit Romantik hat das überhaupt nichts zu tun, weder die Färberei noch die nackten Füße im Gebirge noch der Kinderreichtum. Vor den kargen Dorfschulen weht die vietnamesische Fahne, gelegentlich sind Bilder vom Unabhängigkeitskämpfer und früheren Präsidenten Ho Chi Minh zu sehen. Es ist eine arme Gegend. Eine Kuh ist ein Besitz, der zu Stolz berechtigt. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung reicht nicht aus.

„Trap, trap, trap“, in Bac Pa erklingt ein ungewohntes Geräusch. Kleine Pferde reiten mit ihren Besitzern aus dem Umland zum Markt. Vor dem Zentrum ist eine hohe Mauer, in Wand und Boden sind eiserne Krampen eingelassen, um dort die Tiere anzubinden. Nebenan stehen die Motorräder der Stadtbewohner.

Bac Pa, drei Stunden von Sa Pa entfernt, wird am Sonntag zum Zentrum der ganzen Gegend. Hier gibt es alles, was nur eben in den Bergen Vietnams denkbar ist. Seile, Gewürze, Stoffe, Bänder, Tücher, Nägel, Werkzeuge, Tabak. Herrliches Obst wird ebenso feilgeboten wie seltsame Krabbeltiere und Hundefleisch in allen Variationen; auch kochfertige Hundeköpfe kann man kaufen. Oder gleich eine Art Hund in Sud essen, was nach dem Einkauf ausgiebig in Anspruch genommen wird.

Schwarze Hmongs und Dao fallen kaum auf, weil ein Farbenmeer die Szenerie beherrscht. Die bunte Tracht der Blumen-Hmong ist prächtiger als die aller anderen Stämme. Knallbunte Fäden werden kunstvoll zu Stoff verschlungen, Rot, Gelb, grelles Grün, sattes Blau. Dazu tragen die Frauen Tücher mit Karomustern in Pink und Türkis. Zahlreiche Verkäuferinnen hocken auf dem Boden, neben ihnen stehen schmutzige Kanister mit undefinierbarer Flüssigkeit. Wenn die Männer einen Steinwurf entfernt den Handel mit Büffeln und Pferden abgeschlossen haben oder beim Schmied fertig sind, dann genehmigen sie sich große Schlucke von diesem Reisschnaps und torkeln irgendwann, gestützt auf ihre Frauen, davon.

Ja, die Sitten sind rau. Das Land mag im Umbruch sein, aber an den Rändern hält sich der Fortschritt in Grenzen. Am Nachmittag sind die Pferde aus Bac Pa verschwunden, die Motorräder aber nicht.
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