Acht

Spiegelung, Jena, 07.01.2010

(Canon 400 D, f/5,6 bei 43 mm, 1/60 s, ISO 1600, Teilbereichsmessung, mittenbetont, Bearbeitung: Adobe Photoshop 7.0, Tonwertkorrektur, Filter: Kreuzschraffur, Rahmen)
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TRÄNENHALSBAND
Die Tage lasten schwül und schwer, voll wildem, bangem
Weh. Es ist in mir so kalt und leer, dass ich vor Angst
vergeh'. Die Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon lange fort.
Schon seh' ich keine Aster blühn, und auch die letzten
Falter fliehn, die Berge sind mit Herbst umflort. Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich nach dir.
Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt die Welt und mich
mit ihr. Der Regen, der eintönig rauscht, begleitet meinen Sang.
Und wer dem Regenliede lauscht und wer sich an dem
Weh berauscht, der hört auch meines Liedes Klang. Nur du allein, du hörst es nicht – ach, weiß ichdenn,
warum? Und wenn mein Lied einst gell,zerbricht, du
bleibst auch kalt und stumm. Dir macht es nichts, wenn jeder Baum mitleidig fleht: so
hör! Du gehst vorbei und siehst mich kaum, als wüßtest
du nicht meinen Traum, und 's fällt dir nicht mal
schwer. Und doch bist du so bleich bedrückt, wie einer der
versteht, der seine Seufzer schwer erstickt und schwer
beladen geht. Und doch ist Weh in deinem Blick, um deine Lippen Leid.
Verloren hast du wohl das Glück, es kommt wohl
nimmermehr zurück, und du – du bist „befreit“. Nun ja, das Glück war dir zu schwer, du hast es hastig –
wild verstreut, und nun sind deine Hände leer, es füllt
sie nur noch Einsamkeit. So stehst du da und wirfst den Kopf mit starrem Trotz
zurück, und sagst, was du ja selbst nicht glaubst – „Ich
pfeife auf das Glück!“ Und dann, wenn es schon längst vorbei, stehst du noch da
und starrst ihm nach, dann sehnst du es so heiß herbei,
es ist dir nicht mehr einerlei – dann bist du plötzlich
wach. Zurück jedoch kommt es nie mehr – denn rufen willst du
nicht, und wäre die Leere so unendlich schwer, daß dein
Rücken darunter bricht. So tragen wir beide dasselbe Leid, ein jeder für sich allein.
Mich krönt aus Tränen ein schweres Geschmeid' und
dich ein Sehnsuchtsedelstein. Und der Wind singt uns beiden den ewigen Sang von
Sehnen und Verzicht, doch auch wenn es dir zum
Sterben bang – du rufst mich trotzdem nicht.
Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)