Expedition Nordmeer - 19

Niemals sollte man in Svalbard, oder auch später auf unserer Reise in Grönland vergessen, dass man im Reich des Eisbären ist. Der Mensch ist hier nur Gast.
Jederzeit kann plötzlich ein Eisbär auftauchen, und so stehen rund um Ny Alesund am Ortsrand Schilder, welche daran erinnern. Wer den Schutz des Ortes verlässt, muss per Gesetz zum Selbstschutz eine Waffe tragen (und zuvor auch auf dem Schießstand die Befähigung zum Umgang nachgewiesen haben).
Auch wir waren ständig in Begleitung unseres Expeditionsteams, und jeder im Team hatte eine Signalpistole mit Raketen und ein großkalibriges Gewehr mit spezieller Bärenmunition dabei. Niemand darf aber einfach schießen, es gibt strenge Regeln, welche auch die Bären schützen. Zunächst muss man versuchen, einen Bären auszuweichen und den Konflikt zu vermeiden. Die Signalmunition ist enorm laut, und in der Regel nimmt der Bär Reißaus, wenn es knallt. Erst ab einer Entfernung von 30 Metern darf scharf geschossen werden, dann aber unbedingt mit dem Ziel, den Bär zu töten. Ein wütender, verletzter Bär ließe keinen zweiten Schuss mehr zu. Jeder Fall eines erschossenen Bären wird dann in Bergen/Norwegen vor Gericht verhandelt, ob es tatsächlich Notwehr war. Kommt das Gericht zum Urteil, die Tötung wäre vermeidbar gewesen, drohen bis 3 Jahre Haft.
Eine Woche vor unserer Reise bekamen die FRAM-Reisenden engste Tuchfühlung mit einem wohl schwerhörigen Bären, der sich von den Signalraketen in keiner Weise beeindrucken ließ. Es waren schon 150 Passagiere in 2 Gruppen am Strand und auf Wanderung, als der Bär urplötzlich auftauchte. Erst im allerletzten Moment konnten sich die Letzten vom Strand ins Polarcircel-Boot retten. Der nächste Schuss wäre scharf und gezielt gewesen. Und dann fing der Bär an, die 100 Wanderer zu verfolgen. Da es klar war, dass der Bär zu schnell ist, und die Wanderer nicht mehr das geplante Ziel erreichen würden, musste wiederum in aller Eile vom Strand evakuiert werden. Es ging gerade um Haaresbreite gut, aber Anke vom Expeditionsteaam, die uns das erzählte, zitterte eine Woche danach nioch die Stimme. Man muss sich einfach mal vorstellen, dass Wissenschaftler und Gymnasiallehrer, die das Expeditions-Team bilden und eigentlich Lektoren sind. einen "Bärentöter" handhaben sollen. Das hat jeder zuvor nur mal auf dem Schießstand gemacht, und plötzlich steht so ein Tier, sichtlich abgemagert und hungrig, 50 Meter vor einer Gruppe von Touristen, für die das Team nun die Verantwortung tragen soll.
Ich kann verstehen, dass niemand scharf darauf war, unserer Gruppe einen Eisbären an Land zu zeigen. Wir hatten dann später das Glück, welche vom sicheren Schiff aus zu beobachten.
Wen es interessiert, kann die obigen Erlebnisse aus der Feder eines betroffenen Expeditions-Mitglieds nachlesen:
http://mvfram.blogspot.de/2012/09/memo-to-bear.html

Im Blog der grönländischen Forschungstation Zackenberg, die wir später besuchten, habe ich inzwischen nachgelesen, dass nur 2 Tage nach unserem Besuch plötzlich ein Eisbär auf der Terasse des Küchengebäudes stand, wohl angelockt vom Duft frisch gebackenen Apfelkuchens. Niemand hatte ihn kommen sehen, aber auch hier ging alles für Mensch und Tier gut aus.
Man muss hier oben immer die Augen offen halten.