Beat und Böse

Beschreibung

Rick Parfitt von Status Quo und ich (jaha bin es wirklich) 1988 bei WOM, während einer Autogrammstunde, von meiner Frau mit der Minolta xg2 aufgenommen. Dazu eine Geschichte aus diversen Leben.

Beat und Böse

Gut fühle ich mich, trotz Liebeskummer. Lange, braune Haare liegen im Wind, mit abgewetzter Jeansjacke gehört mir die Stadt. Bier und Whiskey Cola bestimmt die Luft in den Parks. Es ist 1981, Franziska verlässt mich wegen Jochen Pötter, der eine eins in Mathe hat und mit ihr zum ‚Dire Straits Konzert’ geht. Ich habe mir angewöhnt regelmäßig Zigaretten zu rauchen, Joints machen zwar mehr Spaß, aber die Kumpels in Denim und Leder stehen da nicht drauf. Da wird höchstens mal ein gemeinsamer Wodka gekippt. Immer im Takt bewegen, heißt es, selbst wenn uns die Popper und Punker völlig bescheiden finden.

„Sie sind im Hotel!“, sagt einer – ich glaube es ist Klaus. Bert ist achtzehn. Er fährt. Wir sitzen im wippenden, durch Stoßdämpferarmut geplagten Taunus, leider haben wir kein Mädel dabei. Ich bin noch ziemlich traurig wegen Franziska, mag aber nicht drüber sprechen. Aus dem Kassettenrekorder dröhnt „Caroline“, „Roll over lay down“ und „Paper Plane“. Meine Camel neigt sich dem Ende, ich schaue verbittert zu Klaus, der rollt mit den Augen und lässt mir in alter Beatfreundschaft ne Stabbel rüberwachsen. Vor dem Hotel warten schon andere Fans: Scheiße. Das bedeutet, kaum eine Chance auf ein Autogramm der sog. Bösen von Status Quo. Rick Parfitt zeigt sich eigentlich immer, wenn auch mit ‚Ray Ban Sonnenbrille’ und wenn man Geduld hat, läuft einem auch Rossi über den Weg. Beide sind ja auch die Aushängerschilder, die Frontbeater, die wissen, dass die Fans dazugehören. Rossi lieben wir, er ist unser Gott, ein Gebieter, der die lange brünette Mähne so elegant werfen kann, wie kein anderer. Rick kann ein bisschen deutsch. Sein Gesang ist zwar furchtbar, aber dafür ist er der König des Ausfallschritts.

Uns ist klar, dass beide keine Virtuosen sind und sich in der Öffentlichkeit höchstens Zweidimensional geben. Aber sie sind der Beat. Wegen dieser beiden werden wir nicht ernst genommen, wir wissen das. Wir sagen das aber nicht – zu niemandem. John Coghlan, der nie spricht, lässt sich auch fast nie blicken. Er ist ein Drummer mit Weltniveau und immer düster dreinschauend. Noch unfreundlicher ist der Bassmann Lancaster, der auch viel mehr von den 12 Bars versteht, als Rossi, der ja hin und wieder einen erschreckend poppigen Musikgeschmack durchschimmern lässt. Aber solange Lancaster blass und nichtssagend auf der Bühne wirkt, bleiben Rossi und Parfitt unsere Helden.

Irgendwer hat von einem Roadie einen Stapel Setlisten bekommen. Bert organisiert uns eine mit viel Charme. Es ist wie erwartet beinahe die gleiche Songfolge, wie im letzten Jahr. „What you’re proposing“ ist nun fest etabliert, leider spielen sie immer noch nicht die ganz alten Dinger. Die frühen Platten sind bei manchen hier verpönt, weil sie nicht den rockigen Hammer haben, der für 120 Minuten Headbanging verlangt wird und dabei so komisch hießen, wie: „Der Hund mit zwei Köpfen“ oder „Der schmierige Löffel der Mutter Kelly“. Doch die frühe Musik der Band erinnert mich an den Bluesbass, den ich aus dem Jugendzentrum kenne, welches „Weißes Haus“ genannt wird. Da war von zwei deutschen Freunden die Rede, die ‚Gerd und Ulla’ heißen, vom deutschen Wort ‚Umleitung’ und vom Spinnradblues. Hand gemachte Musik, wie aus alten Zeiten.

Aus irgendeinem Ghettoblaster rockt es immer. Ein Mädel mit superfigurbetonter Levis und wunderbar runden Arschbacken trägt einen kunstvoll gestickten ‚Quobaum’ mit den vier Gesichtern der Helden auf dem Jeansjackenrücken. Bert mixt uns eine Whiskeykola in der Flasche und sagt: „Das hat Gesicht!“ und meint den Quobaum.
„Stimmt!“, sage ich und meine die Arschbacken.
„Genau!“, bestätigt Klaus und meint die Whiskeykola. Jeder von uns hat halt seine eigene, seine individuelle ‚Status Quo Perspektive’. Klaus steht auf „Mystery Song“, ich höre gerne „Big Fat Mama“, obwohl von Parfitt gesungen und Bert findet „4500 Times“ ziemlich scheiße. Beim warten raucht es sich leichter. Und rauchen, beim warten auf Helden scheint Sinn zu machen und in diesem Sinne rauche ich. Das Mädel schnorrt sich bei Klaus ne Zigarette und hat bei dem gleich ´nen Stein im Brett. Klaus wirkt in solchen Situationen irgendwie anders, redselig und rücksichtslos.
„Das wird mein geilstes Quokonzert!“, sagt er und streckt sich selbstgefällig. Dabei könnte mir echt übel werden. Bert glänzt mit Verständnis. Er ist der Ältere und ich folge seiner menschlichen Größe, soweit es mir möglich ist. Das Mädel steht inzwischen bei uns, bzw. bei Klaus. Sie heißt Heidi. Bert beschließt, dass das Gesicht hat. Heidi erzählt, dass den Quobaum ihre Mutter gestickt hat.

„Das hat Gesicht!“, meint Bert und Klaus fährt mit seiner Hand über den gestickten Quobaum und Heidis Rücken, knapp oberhalb der Levisarschbacken.
„Du hast ja gar keinen BH an!“, meint Klaus und bestätigt sich selbst und meint: „Geiler Spruch wa!“ Heidi lacht nur ein bisschen gequält. Die ist in Ordnung und Bert findet, dass das Gesicht hat. Ich habe in den letzten Tagen die Tracks der vier ersten „Vertigo Quoalben“rauf und runter gehört um mal wieder auf das Ereignis des Jahrs eingestimmt zu sein. Franziska fand das echt zu heftig und jetzt geht sie nicht mehr mit mir. Ich glaube ja nicht, dass das mit Jochen Pötter gut gehen kann, mit so einem der sich irre gewählt ausdrückt und Durchmarsch und Penis sagt.

Heidi steht wie alle Mädels auf Rick Parfitt. Der winkt grade mit Ledermanschette ums Handgelenk und Sonnenbrille im Gesicht vom Hotelbalkon. Wir winken zurück. Rossi wischt blitzschnell an uns vorbei und verschwindet hinter uns in einer schwarzen Limousine. „Mist verpasst.“ Lancaster ist gar nicht mehr im Hotel, wie wir erfahren.

„Komm wir fahren zur Halle!“, meint Bert. Ich will meinem älteren Freund gerne folgen, obwohl ich echt bitter enttäuscht bin. Plötzlich steht ein dunkelhaariger Mann neben mir, schaut mich an und lächelt leicht. Ich strecke ihm wie ferngesteuert die Hand entgegen. Er schüttelt sie mir, dann den anderen und geht schweigend weiter, bevor er in einem dunklen PKW verschwindet. Es ist John Coghlan. Das Konzert am Abend hat Gesicht. Im Jahr darauf ist John Coghlan nicht mehr dabei.

16. August 2005