Der Kutscher kennt den Weg

Beschreibung

2. Mai 2007 - alter Kodak 200 - U-Bahnromanze in und so das ist in der u3 zwischen barmbek und kellinghusenstrasse hinterm fahrer. Kamera: die Pentax Super A.

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Man fährt durch die Gegend wenn man blau macht und daher diese alte Geschichte dazu.

Dienstag

Dienst ist Dienst. Die Wahrheit ist der Puls im Kopf. Ein hämmernder Brand, der auch mit Unlust beschrieben werden kann. Verbiestert der Blick auf die schief stehende Weckeruhr. Die Zeit eine abstrakte Zahl, an die zu glauben reine Selbstaufgabe wäre oder schließlich die Aufgabe aller Wünsche.

Ich muß zur Arbeit - schon wieder - heißt es zwischen gestern und heute, Dienstag und Mittwoch nach dem Katatrophenmontag, dem üblichen, dem immerwährenden, den Dienstag morgen eigentlich vergessenen. Ich mach blau. Nein, ich bin wirklich krank, ein kurzer Anruf, hoffentlich die nette Vorzimmerdame, die ich schon mal zum essen, aber nur wollte ... schließlich nie angesprochen.
Da fällt mir ein, dass ich unbedingt einen neuen Arzt suchen muss, denn meiner ist ja wirklich tot, was eine Traueranzeige in der Tageszeitung bestätigt.

"Hallo, bin krank - ja Mittwoch auch gleich - gar kein Thema!"
Ihre sanfte Stimme, welche mir Anteil nehmend gute Besserung wünscht schnürt mir den Hals zu. Ich lüge ja nicht, aber bei so einem ehrlichen, akustischen Rausch bekomme ich natürlich ein schlechtes Gewissen.

Ich kauere frierend auf der Couch. Vielleicht mal an einem freien Tag, in einer unverdächtigen Gegend, in der mich keiner kennt ins Kino gehen. Frühe Nachmittagsvorstellung - wow wie früher beim Schulschwänzen in einem leeren Schachtelkino. "Als Frauen noch Schwänze hatten", mit Senta Berger, herjemine das waren noch Zeiten. Schließlich knöpfe ich mir meinen Organizer vor, deren Funktionen ich immer noch nicht verstehe, obwohl ihn mir mein Neffe schon drei Mal bei familiären Grillfesten zu erklären versuchte.

Finde zwei Telefonnummern: Silke und Marianne. Beides keine Kolleginnen, evtl. noch Studentinnen, also los. Um die Dienstagszeit wo Dienst Pflicht ist, ist es schwer Rendeszvous zu organisieren.

Ich rage in die Küche vor, schleichend und wähle mich verrückt. Marianne für 16 Uhr auf einen Kaffee - na immerhin. Das ist unverbindlich und nicht sehr erfolgsversprechend in einem gewissen Sinne und Käthe wird gegen diese Unverbindlichkeit (Käthe ist so etwas wie meine Freundin oder?) nichts einzuwenden haben. Haben können? Die wandelnden Brüste der Touristinnen auf dem Hauptbahnhof, den ich einigermaßen gemessen durchschreite sind gut eingepackt, aber meine Vorstellungskraft ist ausreichend um in späteren
therapeutischen Gesprächsrunden das eine oder andere Wort über die Hemmungen anderer loszuwerden.

Mir schauderts. Überall heißt es ein innerliches Versteck zu suchen und keine KollegInnen zu vermuten, nur weil ich mal Dienstag und Mittwoch krank bin. Stimmt ja, den Mittwoch hätte ich ja notfalls immerhin auch noch mit Marianne.

Der Schwung meiner Lippen verstummt, als ich nach der Uhrzeit gefragt werde.
"Bestimmt viel zu früh!", denke ich um guter Dinge in der Dienstzeit durch den Dienstag zu wandeln, noch dazu in der Bahnhofswandelhalle.

Marianne hat sich und eine handfeste Erkältung tief verhüllt in einen grauen Trenchcoat um den herum ein langer gestrickter Schal weht. Mein brüllender Kopfschmerz ist verschwunden. Mist und sie ist wirklich krank. Also trinkt sie nur Tee, während ich mir den Kaffee kannenweise ins Herz senke und mich in melancholische Gedanken bette über das im Prinzip nicht ganz gelungene Treffen.
Scheiß Organizer! Nichts gegen Marianne. Eher gegen Silke, die hat ja gar keine Zeit, was aber nur heißt, dass ihr neuer Freund sehr eifersüchtig ist.

Vielleicht noch vor Ladenschluß zu Aldi in einer vollkommen unbekannten Gegend.

5. Dezember 2001