Es wird Winter 2

Beschreibung

Heute in der Innenstadt Hamburgs mit K 10 D - dazu eine ältere Geschichte auch.

Landhochzeit

Jaja, auch ich will hoch hinaus, meine Ziele sind enorm, aber nicht verwerflich. Zum überleben fotografiere ich Brautpaare auf dem Land, gehe von Hochzeit zu Hochzeit und betone meinen künstlerischen Willen. Gute Zeiten, mäßiger Lohn und Freiheit. Der Himmel knackig, die Gäste blau und die Braut entzückend, wenn auch nicht taufrisch. Der Bräutigam ein alter Studienkollege von mir – was tut mensch nicht alles für Kollegen, Preisnachlass und Liebesdienste.

Ich reise an, bekomme eine wunde Absteige und zahle die Bahnfahrt selbst. Hinter der Kirche müssen alle für den Gratulationshandschlag aufs Bild. Der Pastor schreitet voran, macht ein kommunikatives Gesicht. Eine Zigarre gibt es vom Amtsvorsteher. Uwe ist nervös; es sollen alle drauf kommen – ich beruhige ihn und sage ‚keine Sorge’ und putze schon mal die Objektive. Die Eltern der Braut sind sehr herzlich, die Mutter schiebt mir einen Bonbon in den Mund. Ich bin jetzt erfrischt. Hosenanzug und ganz in beige, in ihrem Alter verbiegt sich Uwes neue Frau nicht. Sie hat einen Hintern, mit dem mensch Kronenkorken von Bierflaschen ploppen könnte.

Mit Autokarawanen ohne Hupen geht es zum Restaurant. Vier Kilometer Autobahn, acht Kilometer über Land und dann irgendwo ganz hinten. Uwe sagt, ich soll die Verwandten knipsen, damit das Album so ganz unvergesslich wird. Ich gebe mir Mühe in Gesichtern die dahintreiben etwas feierliches zu sehen. Die betrunkenen, letztlich sehr feierlich angekommenen Jugendfreunde Uwes sollen Marion entführen. Es wird mit ernster Miene und bittstellerischem Stirnrunzeln diskutiert, ob ich die Entführung der Braut, oder die Erwartungshaltung der Gäste belichten soll. Ich grinse. Uwe findet es nicht lustig. Marion möchte Bilder von der Entführung. Wir fahren zum Dorfkrug. Originelle Idee, heißer Flirt mit der Überraschung. Einer der Jugendfreunde will der entführten Braut Marion die Augen verbinden. Die aber raunzt: „Untersteh dich!“ Dort angekommen teilen sich die Geister. Die Entführer beugen sich über dem Stammtisch und vergessen zeitweilig ihren Auftrag. Marion und ich sitzen abseits.

„Bist du glücklich?“, frage ich. Sie zuckt mit den Schultern, dann küssen wir uns. Erst leidlich, dann leidenschaftlich. Dann geht’s mit den Torkelnden zurück zur Gesellschaft. Allgemeine Müdigkeit macht sich breit, Uwe geht schon einmal vor. Marion verabschiedet mich ausführlich am Zaun und sagt, dass sie jetzt muss. Sie muss ihrem Ehemann in der Hochzeitsnacht beim Erbrechen beistehen.

„Schade, dass du jetzt gehst!“, sagt sie zu mir, dem Fotografen. Wir machen für den nächsten Tag einen Treffpunkt am Fluss aus. Eine Nachbarin ruft vom Balkon: „Geh rein zu deinem Mann du Schlampe!“ Marion stöhnt: „Landhochzeit!“

28. September 2004