Markt im Toraja Land

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15. Juli 2009

"Wir riefen ihn, aber er antwortete nicht, wir schrien, aber er sagte kein Wort."
(Aus einem Totenlied. Van der Veen 1966: 35)

Allgemein

Toraja ist die Bezeichnung für die Gruppen im zentralen Gebiet Sulawesis (früher Celebes), die viele Übereinstimmungen in ihren Kulturen zeigen. Hier wird die Rede vor allem über die Sadan Toraja sein, etwa 400 000 Personen im Südwesten des zentralen Sulawesi. Die Provinz Tana Toraja, wo sie leben, ist 3 000 qkm groß. Ihre Wirtschaft beruht auf dem Reisanbau - vornehmlich auf Brandrodungsfeldern. Gemüse produzieren sie für den lokalen Markt, Kaffee z. T. für den Weltmarkt. Wasserbüffel, Schweine und Hühner sind die wichtigsten Haus- und Opfertiere, die eine besondere Rolle in verschiedenen Ritualen spielen.

Die Toraja hielten bis Ende des 19. Jahrhunderts wenige Kontakte zur Außenwelt. Die niederländische koloniale Macht verbot zu Anfang dieses Jahrhunderts u. a. das Sklaventum und den Handel mit Sklaven, obwohl die Gesellschaft bis heutzutage eine starke Schichtung aufweist, die sich u. a. in der Ausführung der Todesrituale ausdrückt.

Adel, Freie und die Armen (Nachfahren der früheren Sklaven) bilden die Schichten der Toraja-Gesellschaft. Status basiert auf Geburt und Geld. Je höher der Status eines Menschen, desto langwieriger sind die Bestattungsriten. Sogar das Schicksal desToten im Jenseits ist - wie später ausgeführtwird - mit seinem Status verknüpft.

Mit dem Wachstum des Tourismus auf Sulawesi seit den 70er Jahren haben die Sadan Toraja eine neue Einkommensquelle gefunden, was in einigen Gegenden zu einer wirtschaftlichen Blüte geführt hat. Heutzutage besteht ein Druck - auch von Seiten der lokalen Regierungsangestellten - die komplizierte, lange Bestattungszeremonie in die Zeit zu verlegen, wenn sich viele Touristen im Land befinden. Drei Viertel der Sadan Toraja gelten heute offiziell als Christen. Da die Sadan Toraja ihre Bestattungszeremonien nicht aufgegeben haben, entstehen gelegentlich Konflikte mit der Kirche. 1983 gab es eine Auseinandersetzung zwischen religiösen Führern der Kirche und reichen Toraja, die sich weigerten, die Herstellung von tau-tau -Figuren aufzugeben (1).

Der Kosmos

Bevor wir auf die Bestattungsriten der Sadan Toraja eingehen, ist es ratsam, ihre Auffassungen vom Kosmos etwas näher zu betrachten, da diese mit den Zeremonien um den Tod eng verbunden sind.

Das Totenland Puya liegt in derselben Schicht des Kosmos wie die Welt der Lebenden (Abb. 1), und zwar südlich des von den Sadan Toraja bevölkerten Gebietes. Die meisten Toten gelangen in dieses Totenreich. Nur Verstorbene, die dem Adel angehörten und für die ein langwieriges Totenfest mit komplizierten Riten veranstaltet wurde, gelangen in den Himmel, in die Nähe des Gottes Puang Matua. Ihre Seele lebt dann weiter in der Nähe des Großen Bären oder der Plejaden und wird als Ahne angesehen. Einige Totenseelen erreichen jedoch das Totenreich nicht: Die Seelen von Dieben, Selbstmördern und an Lepra Gestorbenen werden bei dem Versuch, eine schwankende Brücke zu überqueren, von Katzen verschreckt und fallen in einen Fluß hinein. Diese Totenseelen, die das Land der Toten nicht erreichen, stellen eine bestimmte Gefahr dar (2).

Auch kleine Kinder können nicht ins Totenland gelangen. Man bestattet sie ganz einfach, ohne Ritual, in Bäumen (Abb. 2).

Die Sterblichkeit wurde den Menschen von Anfang an vom Gott Pang Matua verliehen. Vom Urahnen Lakipadada, dem Gründer eines Adelsgeschlechtes, erzählt man, daß er die Unsterblichkeit erlangen wollte und sich deshalb auf den Weg in den Himmel zu Puang Matua machte. Ein weißer Büffel half ihm, das Meer zu durchqueren; er mußte jedoch versprechen, daß seine Nachfahren in Zukunft weiße Büffel weder essen noch töten würden. Dann nahm ein riesiger Krebs Lakipadada mit in den Himmel. Der Gott Puang Matua versprach Lakipadada die Unsterblichkeit zu verleihen, wenn es ihm gelänge, sieben Tage und sieben Nächte nicht zu schlafen. Sechs Tage hielt er durch, am siebten Tag schlief er erschöpft ein. Trotz seines Scheiterns erlaubte ihm der Gott, sechs Generationen lang zu leben (3).

Diese Erzählung ist insofern von Belang, als die Nachfahren des Lakipadada in den Bestattungsriten für Männer des Adels bis in die Gegenwart hinein einen kleinen hölzernen Krebs benutzen, wahrscheinlich eine Erinnerung an den hilfreichen Krebs. Weiße Büffel (sie sind auch blind) setzt man bald nach ihrer Geburt aus; sie werden weder gegessen noch geopfert, wie es ihr Vorfahre versprochen hatte (4).



Sterben, tau-tau - Figuren und Begräbnis

Zwischen dem Ableben eines Individuums und den Bestattungsritualen vergehen zwischen sechs Monaten und fünf oder mehr Jahren. Gründe dafür sind die zahlreichen Vorbereitungen, die für einen reichen oder adeligen Verstorbenen nötig sind. So gibt es z. B. Iange Debatten bis entschieden ist, wer aus dem Kreis der Familie wieviele Büffel liefert, die als wichtiger Teil der Zeremonien geopfert werden.

Man soll auch auf die Rückkehr von Verwandten warten, die sich außerhalb des Dorfes aufhalten. Reis muß gepflanzt werden, und bis er reif ist, darf der Tote nicht bestattet werden. Dies geschieht sowohl aus praktischen Gründen (um die zahlreich erwarteten Gäste zu bewirten) als auch aus Gründen, die mit der Verknüpfung zwischen Mensch, Tod und Reis bestehen. So muß z. B. auch die Vererbung der Reisfelder des Verstorbenen vor seiner Bestattung geregelt werden (5).

Während dieser langen Zeit wird die Leiche, in viele Meter Stoff eingewickelt, im Haus aufbewahrt Ein Bambusstab wird in das Bündel gesteckt, um die Leichenflüssigkeit durch die Öffnung im Boden aus dem Haus zu leiten. Heutzutage bedient man sich auch einer Formalinspritze, die in das Bündel gespritzt wird (6).

Die Familie des Toten lebt weiter im Haus; Angst vor der Nähe der Leiche hat, im Gegensatz zu anderen Kulturen, hier niemand. Das Sterben wird von den Verwandten während dieser Zeit sozusagen ignoriert: man bedient sich bestimmter Redewendungen; man spricht vom "Behinderten" oder vom "Schlafenden" (7). Erst während des Totenfestes wird er "der Tote" genannt (8).

Zu den vielen Vorbereitungen gehört es, daß die Verwandten vorübergehende Behausungen für die zahlreichen Gäste bauen, die eintreffen werden. Die Plätze, wo man sie errichtet und wo die Feierlichkeiten stattfinden, werden nicht bepflanzt und sind nur für die Totenrituale bestimmt.

Nach dem Tod reicher oder adliger Frauen oder Männer wird eine Figur geschnitzt, tau-tau (9) genannt, die übersetzt etwa "eine kleine Person" oder "wie eine Person" bedeutet. Manchmal wird sie Bombo di kita genannt, was uns der Konzeption der Figur näherbringt; der Ausdruck bedeutet etwa "die Seele, die sichtbar ist"(10).

Um die tau-tau-Figur herzustellen, wird ein bestimmter Fruchtbaum gefällt. Hersteller sind besondere Schnitzer, die versuchen, eine Ähnlichkeit zwischen der Figur und dem Toten zu schaffen. Das Maß beträgt 1 m oder 1,50 m. Die Sexualorgane werden getreu nach dem Geschlecht geschnitzt. Kopf und Glieder sind beweglich; während des Totenfestes wird dann die Figur getragen, den Kopf sowie die Arme nach rechts und links bewegend (11). Wenn der Schnitzer mit der Herstellung fertig ist, wird ein Schwein getötet und sein Blut auf die Figur gesprenkelt (12).

Danach bringt man dietau-tau in den Raum, wo die Leiche aufbewahrt liegt, und legt sie auf eine Schlafmatte an die Seite des Leichnams. Die Leiche wird jetzt Richtung Süden gebettet - die Richtung, in der das Totenland liegt, im Süden des Gebietes der Sadan Toraja. Dann wird die tau-tau aufgeweckt neben der Leiche sitzend, und das Gesicht gen Süden gerichtet gelegt. Die Seele (Bombo) des Verstorbenen, die in der Nähe des Körpers weilt, wacht gleichfalls auf.

Leichnam und tau-tau-Figur werden später zum Reisspeicher der Familie getragen, wo sie einige Tage bleiben; später trägt man sie zu dem Zeremonialplatz, dort bleiben sie bis zur Bestattung in einer Art Katafalk. Enge Verwandte des Toten und Trauernde dürfen so lange keinen Reis und keine warme Mahlzeit zu sich nehmen, bis die Büffel geopfert und die zahlreichen Gäste bewirtet sind (Abb. 4). Ein kleiner Umzug - die Gäste sind fast alle schon abgereist - bringt die Leiche zu dem Bestattungsort. Veranwortlicher dieser Handlungen ist der Priester, der für Totenrituale zuständig ist (13). Der Leichnam wird in eine Felsengrotte hineingelassen, in eine Art Krypta, die aus dem Felsen herausgehauen wird. Es sind dies Familiengrüfte, die aus einem oder mehreren Räumen bestehen (Abb. 5) (14). Das Grab wird in den Totengesängen als "das Haus, aus dem kein Rauch emporsteigt" bezeichnet (15). Monolithe werden während der Feierlichkeiten oft zur Ehre der Verstorbenen aufgestellt (l6).

Die tau-tau, die während des Totenfestes als eine Art Verdoppelung des Verstorbenen angesehen wird, wird jetzt auf einem Balkon oder einer Galerie an einer Felsenwand hingestellt (Abb. 6, 7). Sie ist ein sichtbares Zeichen für Reichtum und Macht des Verstorbenen.

(Abb. 8)



Das Totenlied

Ein wichtiger Bestandteil des Totenfestes für einen adligen Verstorbenen ist das Singen eines längeren Klageliedes. Es wird von Männern gesungen; es erzählt von den himmlichen Vorfahren des Verstorbenen, von seinen Taten und seinem Ruhm zu Lebzeiten (17).

Das folgende Stück des Liedes beschreibt bildreich, wie der Tote seinen Weg aus der Welt der Lebenden geht: zunächst geht er nach Süden in Richtung auf Puya, wo das Totenland liegt, und steigt dann, da er ein Verstorbener von Rang ist, für den längere Totenfeste und Rituale veranstaltet wurden, in den Himmel auf. Dort vereinigt er sich mit seinen Vorfahren und wird zu einem Gestirn.

In der Oberwelt hatten die Ahnen ihren Ursprung, zu ihnen geht er nun zurück. Die letzten Strophen des Liedes zeigen die Verknüpfung, die zwischen den Ahnen, den Verstorbenen und dem Wohlergehen der Menschen besteht: Um den Reis zu pflanzen, warten die Menschen darauf, daß bestimmte Gestirne am Himmel erscheinen. Einige Zeit nach dem Ableben eines adligen Mannes, wenn der Reis bereits zu wachsen beginnt, werden Opfer in seinen früheren Reisfeldern dargebracht:


"Was kann man machen, er ist gen Süden gegangen,
was sollen wir tun, da vorne ist er!
Die Wolken haben sich jetzt hinter ihm geschlossen,
er ist vom Nebel verhüllt.

Er hat die drei Grabhügel der Gefallenen erreicht,
diejenigen, die sechs an der Zahl waren (18).
Er stand da, Sirih-pinang kauend,
Er saß da, seinen Mund rot färbend (19).
Dann schaute er in die Richtung seines Dorfes,
auf sein Haus hier warf er einen Blick.
Nun, könnte es sein, daß du nicht weinen würdest,
daß du die ganze Zeit nicht schluchzen würdest?
Sein Weinen ist der Morgenregen,
sein Schluchzen der feine Sprühregen.

Was kann man machen, er ist gen Süden gegangen,
was sollen wir tun, dort vorne ist er! (...)
In Duri sagten die Menschen die Worte,
in Enrekan brachten die Lippen hervor:
Es war gestern um dieselbe Zeit,
daß er von Norden her vorbeikam
und zwischen den Häusern hier umherging.
Wir riefen ihn, aber er antwortete nicht,
wir schrien, aber er sagte kein Wort.
Die Sohle seines Fußes antwortete uns,
seine Ferse war es, die Antwort gab. (...)


Er sitzt jetzt bei seinen Ahnen,
sein Sitzplatz ist bei seinen Vorfahren.
Seine Ahnen sind jetzt froh,
seine Vorfahren sind nun glücklich,
sie gehen jetzt mit ihm gen Süden,
sie gehen mit ihm von einem Ort zum anderen.

Jetzt verschwindet er westwärts,
hinunter, dort wo die Sonne untergeht.
Er ist dort eine Kokospalme,
eine Zuckerpalme, die über alles hinausragt (...)
Der große Bär hält ihn in seinen Armen,
die Plejaden drücken ihn fest an sich,
die leuchtenden Sterne drängen sich um ihn herum.



Wir suchen ihn [den Stern], um den Reis zu säen,
und dann sollen wir die Saat ausstreuen,
damit kein Übel den Reis treffen kann.
In dieser Totenklage laßt uns Segen bitten
und für jeden ein langes Leben wünschen.
Möge es dir gutgehen, möge es mir gutgehen,
möge jeder von uns ein langes Leben haben.
Mögest du Kinder haben und ich ebenfalls,
mögen wir Nachkommen auf der Hüfte tragen (20)."