Halide Edip Adivar

BRISANTE DOPPELROLLEN EINER STARAUTORIN:
HALIDE EDIP ADIVAR (1884 - 1964)

Halide Edip Adivar wird heute noch gerne als Vorbild hingestellt. Die literarischen Beurteilungen sind entweder voller Lob, sie wird als die beste türkische Autorin schlechthin gepriesen, oder aber - nach höflicher Erwähnung ihrer „Verdienste“ – wird verdeckt auf ihre sprachlichen und literarischen Unzulänglichkeiten hingewiesen. Manche bewundern sie, weil sie als Frau sich dem Befreiungskrieg angeschlossen und an der Front neben Atatürk gekämpft hatte, andere sehen in ihr eine Leitfigur und ein Idol der frühen türkischen Frauenbewegung.

Diese berühmte Autorin, deren Schaffen noch während der letzten Phase des Osmanischen Reiches begann, die aber schnell und überaus geschickt den Brückenschlag zur republikanischen Ära schaffte, war eine Persönlichkeit mit vielen Gesichtern – in allen Schattierungen der Wortbedeutung. Sie hatte nicht nur überdurchschnittlich viele Veröffentlichungen, die Teils in Türkisch, teils in Englisch geschrieben wurden, sie war auch Lehrerin, Schulinspektorin, Freiheitskämpferin, tonangebende Politikerin, Abgeordnete und später Professorin an verschiedenen Universitäten der Welt.

Eine Charakterisierung, eine Einordnung ihres Werkes verlangt gewöhnliche und konträre Begriffspaarungen: sie war mondän und fundamentalistisch religiös, feministisch und nationalistisch, autoritär und mystisch, moralisch und militärisch, aristokratisch und völkisch, international, lateinisierend und angelsächsisch, gläubig und realistisch, revolutionär und nostalgisch - all das in selten nachvollziehbaren Wellen von Wechseln. Stets war sie überaus kämpferisch, ungewöhnlich durchsetzungsfähig und sehr dominant . Als eine zentrale Figur der Nationalliteratur gefeiert, ragt ihr Schaffen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein, spiegelt bis zum Schluss ihre vorgebliche Verwurzelung in Religion, Nationalismus, Politik aber auch Frauenemanzipation.

Als höhere Tochter - die Familie gehörte in die unmittelbare Nähe des Sultans - 1884 in Istanbul geboren, genoss sie eine exklusive Erziehung, absolvierte das amerikanische Mädchenkollegium (1901), wurde daneben von den namhaftesten Lehrern, z. T. berühmten Wissenschaftlern der Zeit
(z. B. von dem Philosophen Riza Tevfik) privat unterrichtet. 1901 heiratete sie den damals bekanntesten Mathematiker der Türkei, Salih Zeki, und war selbst, als eine der ersten Frauen des Landes, berufstätig. Sie unterrichtete Pädagogik und Geschichte an der Hochschule für Lehrerinnen. Nach Ihrer Scheidung (1910) wurde sie 1911 Mitglied im nationalistischen Verein Türk Ocagi. Während der Jahre des Ersten Weltkrieges war sie Schulinspektorin im Libanon und Schuldirektorin in Damaskus. Den Politiker und berühmten Wissenschaftler Adnan Adivar heiratete sie 1917 (er war während der „Bürgerlichen Revolution“ von 1908, Offizier von hohem Rang, Abgeordneter, stellvertretender Präsident des Parlaments und hatte
auch andere, verantwortungsvolle Positionen inne.) Sie intensivierte ihre Tätigkeit im und für den nationalistischen Verein Türk Ocagi und arbeitete eng mit dem nationalistischen Autor Ziya Gökalp (1876 - 1924), den als Pantürkisten eingestuften Hamdullah Suphi Tanriöver (1885-1966) , Fuat Köprülü (1890 - 1966) sowie Mehmet Emin Yurdakul (1869 - 1944) zusammen, die führende Figuren der nationalistischen Bewegung waren. Der Ruf für die Professur "Westliche Literaturen" an der Darulfünun-Universität 1 in Istanbul erging 1918 an sie. Sie war Gründungsmitglied des
Vereins "Wilson Prensipleri Cemiyeti" (Gesellschaft der Wilson’schen Prinzipien) , für die sie intensiv Propaganda machte und Vorträge hielt, bis sie in Folge der Fremdbesetzung der Türkei zu der Auffassung gelangte, dass diese Prinzipien mit den nationalen Interessen nicht im Einklang stünden, beteiligte sich folglich an Protestmärschen gegen die griechische Besatzung Izmirs (Mai 1919) und verteidigte in ihren Reden nun die völlige Unabhängigkeit der Türkei. Schon ein Jahr später (Mai 1920) schloss sie sich, zusammen mit ihrem Ehemann Adnan Adivar, der Befreiungsarmee
Atatürks an, die in Anatolien kämpfte, und sie wurde Offizierin – sie brachte es bis zum Leutnant . Sie übernahm wichtige Aufgaben, so hat sie z.B. Waffen nach Anatolien geschmuggelt , ohne die der Kampf unmöglich gewesen wäre. Nach der Proklamierung der Türkischen Repuplik (1923) gründete Ihr Mann Adnan Adivar; sie und einige politische Freunde, die Terakkiperver Cumhuriyet Firkasi (Republikanische Partei der Fortschrittsanhänger, besser bekannt unter den Namen Serbest Firka, also Liberale Partei), die 1925 aufgelöst wurde. Das Ehepaar verließ 1926 die Türkei. Ihr Mann wurde 1926 in Abwesenheit für schuldig befunden, am berüchtigten "Attentatsversuch von Izmir" gegen Atatürk beteiligt gewesen zu
sein. Später wurde er rehabilitiert, doch blieb das Ehepaar unversöhnlich bis zum Tode Atatürks, und lebte im Ausland. Sie kehrten erst nach dem Tod Atatürks zurück und wurden von der Partei hoch belohnt.

Halide Edip hat in der langen Zeit der Abwesenheit in Frankreich, England, den U.S.A. und Indien (auf persönliche Einladung von Mahatma Gandhi) gelebt, an verschiedenen Universitäten Islamkunde ( in Delhi, 1935) und zeitgenössische türkische Philosophie sowie Literatur (Columbia University, Colorado, U.S.A.) unterrichtet. Nach ihrer Rückkehr in die Türkei (1939) erhielt sie 1940 den Ruf für die Professur "Englische Literatur" an der Istanbul Universität. 1946 war sie Gründungsmitglied, 1950-1954 bereits Abgeordnete der Demokrat Partisi (Demokratische Partei), anschließend kehrte sie an die Universität in Istanbul zurück.

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Canon EOS 5D Mark II, Canon EF 24-70mm f/2.8L, 25.0 mm, 14, 1/50, 100